Freitag, 22. Juli 2011

Rezension ~ "Roots" von Alex Haley



Titel: Wurzeln "Roots"
Originaltitel: Roots
Autor: Alex Haley (1921 - 1992)
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag
dt. Erstveröffentlichung: 1979
Einband: katoniert
Seitenzahl: 718 Seiten
Preis: 9,95 €
ISBN: 978-3-596-22448-7


Bewertung: 4 von 5 Punkten





„Ich fühle, dass sie (die Toten) zuschauen und uns leiten. Und ich weiß, sie teilen meine Hoffnung, dass dieser Bericht über Menschen wie uns mithelfen mag, das Vermächtnis der Tatsache zu erleichtern, dass Geschichte sonst vorwiegend geschrieben wird von den Siegern.“ (Alex Haley)
„Er (Kunta) hockte sich neben die Tür und versuchte sich vorzustellen, was jetzt drinnen vorging. In Afrika hatte er nie Genaueres über den Geburtsvorgang erfahren, weil der dort als reine Frauensache gilt, aber er hatte gehört, man breite Tücher auf dem Boden, damit die Frau ihr Kind darauf kniend gebären könne, und danach setze man sie in eine Schüssel mit Wasser, um sie vom Blut zu reinigen; er fragte sich, ob dies alles wohl auch jetzt geschah.“


„Mein Name ist Kunta Kinte und hiermit klage ich euch toubobs an. Ich klage euch der vorsätzlichen Grausamkeit, der Ignoranz und des Missbrauchs an.
Allah lehrt uns, dass Sklaven ehemalige Feinde sind. Zu feige, um im Kampf den Tod zu suchen, werden sie zu Sklaven. Oder es sind Hungernde, die darum bitten, dass man sich ihrer annimmt und so den Status eines Sklaven erhalten. Und doch, ein jeder von ihnen hat Rechte. Der Herr muss seine Sklaven mit Nahrung und Obdach, einem Ehepartner und einem Stück Land versorgen, dessen Erträge dem Sklaven gehören, damit er sich eines Tages freikaufen kann. So ganz anders ist dies bei euch toubobs! Nie bin ich euer Feind gewesen. Niemals hat mein Volk die Waffen gegen euch erhoben. Auch bin ich nicht zu euch gekommen und habe um euren Schutz gebeten. Ihr hattet kein Recht mich zum Sklaven zu machen!




Ich bin Kunta Kinte, Sohn des Omoro und seiner Frau Binta. Ich wurde frei geboren und komme aus einer angesehenen Familie. Ich kann lesen, schreiben und rechnen. Ich kenne die Worte meines Gottes und habe meinem Vater zur Ehre gereicht. Eines Tages wäre ich das Oberhaupt meines Dorfes geworden, stattdessen habt Ihr mich in die Sklaverei und in ein Land verschleppt, dass mir bis zum heutigen Tag fremd und verhasst blieb.
Ich war der Erstgeborene meiner Eltern und erblickte im Jahre 1750, nach eurer Zeitrechnung, im Lande Gambia im fernen Afrika das Licht der Welt. Meine Ankunft verhieß meiner Familie Glück und Wohlstand für eine weitere Generation, denn es ist immer ein gutes Omen, wenn der Älteste ein Sohn ist. Ähnlich ist es doch auch bei euch, denn auch ihr toubobs braucht Erben für eure Plantagen – jemanden, der euren Namen in die Zukunft trägt und dies kann nun einmal nur ein Mann.
Ich wuchs heran in der Gesellschaft einer liebenden Mutter, eines strengen, jedoch wohlwollenden Vaters und einer aufmerksamen Dorfgemeinschaft. Als ich meinen siebten Regen erlebte, wurde mein Bruder Lamin geboren, der schon bald zu meinem Schatten wurde. Ein unerträglicher Plagegeist, der nie aufhörte Fragen zu stellen. Aber ich liebte…nein, ich liebe ihn. Nach Lamin wurden auch noch meine Brüder Suwadu und Madi geboren; ob ich noch mehr Geschwister habe, kann ich nicht sagen, denn Ihr toubobs habt mich meiner Familie entrissen.
Die Erfahrungen, die ich während der Überfahrt auf der „Lord Ligonier“ machte, hätten mich auf die Schrecken, die mich in eurem Heimatland erwarteten, vorbereiten sollen, doch damals wünschte ich lediglich zu sterben. Dieser Gestank, das Schreien und Wimmern meiner Leidensgenossen, die Schmerzen durch das ständige still liegen. Ich flehte Allah an, mich zu sich zu nehmen. Doch offensichtlich, da ich hier sitze, verstümmelt an Leib und Seele, hatte Allah anderes mit mir vor.
Ich frage mich selbst heute noch, viele Jahre nach meiner Ankunft in eurem Land, warum Ihr es nie verstanden habt, dass ich meine Freiheit wieder erlangen wollte. Ist es für euch so unverständlich, dass ich zurück zu meinen Eltern, meinen Brüdern…einfach zurück wollte?“


„(Plötzlich)…fiel ihm ein, dass im fernen Juffure seine Eltern, Binta und Omoro, ja nun Großeltern wurden, und es betrübte ihn, dass sie seinen Sohn nicht nur niemals sehen würden – und umgekehrt - , sondern nicht einmal wissen konnten, dass er einen bekommen hatte.“


„Eure Peitsche lernte ich sehr schnell kennen. Gleich nach meiner ersten Flucht, schlugt Ihr mir den Rücken blutig, dass mir das Fleisch in Fetzen hing. Ihr wart sicher, ich wäre gebrochen. Doch ganz im Gegenteil; je mehr Ihr mich gedemütigt habt, je größer meine Angst war, je schlimmer meine Schmerzen, desto mehr wollte ich fort von euch. Denn mehr als alles andere fürchtete ich, den Teil zu verlieren, der mich zu einem Individuum machte. Meinen Namen habt Ihr mir schon genommen, „Toby“ ruft Ihr mich, doch um jeden Preis wollte ich den Rest meiner Menschenwürde retten.
Ich musste jegliche Hoffnung auf Freiheit fallen lassen, als eine eurer Äxte mir nach meiner vierten Flucht den vorderen Teil meines Fußes abhackte. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre an der Wunde zu Grunde gegangen. Mein Glück – oder Unglück – war es, das Masser Waller Doktor ist. Er rettete mein Leben und kaufte mich! Auf seinem Besitz lernte ich meine Frau Bell kennen und lieben.
Und so sehr ich nach außen hin mein Schicksal akzeptiert haben mag, im Inneren wünsche ich mir immer noch, meine Freiheit wiederzuerlangen. Ich wünschte, ich könnte Bell nur einmal zeigen wo ich geboren wurde und wo ich aufwuchs. Ich würde sie meinen Eltern vorstellen und sie unsere Bräuche lehren, sodass auch sie ihre Wurzeln kennt. Doch all dies wird nicht geschehen.
In Freiheit geboren, zum Sklaven gemacht, werde ich auch als Sklave sterben!“


„Kunta sprang steil in die Höhe, als er plötzlich eine andere Stimme, ein laut quäkendes Geschrei hörte, und ein paar Minuten später kam der Masser mit erschöpft wirkendem Gesicht heraus. „Sie hatte es schwer“, sagte er zu Kunta. „Immerhin ist sie dreiundvierzig. Aber in ein paar Tagen geht’s ihr wieder gut.“ Der Masser machte eine Handbewegung zur Tür. „Lass Mandy noch ein bisschen Zeit zum Aufräumen. Dann kannst du reingehen und dir dein Töchterchen ansehen.“


„Eine Tochter! …Wie nur soll ich sie beschützen in einer Welt, in der Ihr toubobs glaubt, jede schwarze Frau stände euch zur Verfügung? Wie soll ich ihre Unschuld, ihre Ehre verteidigen, wenn sie nach euren Gesetzen nicht einmal mir GEHÖRT? Sie gehört Masser Waller, so wie ich und Bell ihm gehören – und so wie alle meines Blutes, die nach uns kommen, ihm gehören werden.





Die Geschichte des „Afrikaners“ blieb in den Erinnerungen von Kuntas Nachkommen stets lebendig, da es zur Tradition wurde jeder neuen Generation von ihm zu berichten. Bis Kunta Kintes Ur-ur-ur-urenkel Alex Haley (*1922; ⊕ 1992) sich 1964 auf die Suche nach dem Wahrheitsgehalt dieser Geschichten machte. Was er entdeckte ist in „Roots – Wurzeln“ auf ca. 700 Seiten festgehalten. Haley erzählt darin nicht nur die Geschichte Kuntas, sondern aller sieben Generationen, die nach ihm kamen. Ihm ist etwas gelungen, das bis heute keinem Afroamerikaner mehr gelang. Haley verfolgte seine Abstammung bis zu seinen afrikanischen Wurzeln zurück und traf an der Küste Gambias in einem kleinen Dorf namens Juffure auf einen Geschichtenerzähler, der die Familienmitglieder aller Dorfbewohner generationenweit zurückverfolgen kann. In dessen Geschichten fand Alex Haley seinen Vorfahren Kunta Kinte, der im Alter von siebzehn Jahren von Sklavenjägern gefangen und verschleppt wurde. Damit schloss sich der Kreis und Haleys zwölf Jahre dauernde Suche. Im Buch mit seinen eigenen Worten beschrieben, zählt dieser Moment zu den Emotionalsten des ganzen Romans. Wobei „Roman“ das falsche Wort ist, vielmehr ist es die Identitätsgeschichte von 25 Millionen Afroamerikanern.
Neben “Onkel Toms Hütte“ ist „Roots“ das aufsehenerregendste Buch über die Sklaverei in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, es ist das persönlichste Buch zu diesem Thema. Mir hat besonders gut gefallen, dass die Sklaven nicht stereotyp als dumm und faul dargestellt werden, sondern jeder Einzelne einen ganz eigenen Charakter hat. Auch die Plantagenbesitzer sind nicht alle durchweg böse und stehen peitschenschwingend hinter ihren Sklaven. Ebenso wenig waren alle Südstaatler gegen die Freilassung der Sklaven – auch dann nicht, wenn sie selbst welche besaßen.
Mit diesem Buch ist es Haley gelungen, eines der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte zu beleuchten und zwar aus Sicht der Schwachen, die am Ende dennoch siegten!



„I wish by golly I could spread my wings and fly, And let my grounded soul be free for just a little while, To be like eagles when they ride upon the wind, And taste the sweetest taste of freedom for my soul! Then I'd be free at last, free at last, Great God Almighty I'd be free at last!“

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